Donnerstag, 31. Oktober 2019

Uni(er)leben (4)

Es ist Donnerstag. Eigentlich habe ich donnerstags gar keine Vorlesung. Weil ich aber beim Prüfungsamt zwei neugierige Fragen loswerden möchte (1. "Wieviel ist 6 + 6 + 12?" Laut Prüfungsamt wahlweise 24 oder 18, je nach dem. 2. "Tragt Ihr mir Prüfungsleistung XY auch noch mal ein? Laut Prof sitzt ihr seit zwei Monaten auf dem Bescheid...") bin ich halt eh' da und beschließe, einen meiner Lieblingsprofs zu besuchen, der gerade eine Gastvortragende im Bereich der vergleichenden Politiksysteme Weisheit und Wissen in die versammelte, überwiegend ahnungslose Zuhörerschaft rieseln lässt. Es geht um Methoden der Datenanalyse und den Realitätsbezug zwischen den bunten Linien und Punkten auf dem Papier und der Welt "da draußen, wo der Pizzabringdienst herkommt", um das Finden von Themen für die Abschlussarbeit.

Eine internationale Statisik aus dem Bereich Gesundheit wird wird vorgestellt in der Fallzahlen nach Ländern als Punktwolke zwischen den Achsen Häufigkeit und Einkommen dargestellt werden und erklärt. Regressionsanalyse in der Forschungspraxis. Zusammenhangsmaße und so. Was sagt das da? Was bedeutet jenes? Vier von knapp 200 Datensätzen passen irgendwie nicht in die Regression. Was passiert, wenn man die weglässt? Darf man die weglassen, nur weil die nicht passen? Kann man diese "Ausreißer" erklären? Bedeuten diese Ausreißer, dass die Annahme falsch ist? Was bedeutet das für das Untersuchungsmodell? Für mich alles old news, ist aber entspannte Auffrischung und es macht Spaß, in der Mitte der "Newbies" zu hocken und sich mit den Profs Bälle zuzuspielen, kurz: eine schöne Vorlesung, frei von Leistungsdruck und Stress. Zumindest für mich. Für den Rest... not so much.

Hinterher steht man noch zusammen, quatscht laid back und gelassen über das vergangene Semester, das, was noch aussteht, Pläne, die Zukunft, das gerade Vorgetragene, wie es Veteranen tun, die mehr verbindet, als ein gemeinsames Erlebnis. Man lacht und will eigentlich gerade aufbrechen, als sich ein Student dazu gesellt, Collegeblock in der Hand, und verkündet, er könne die Ausreißer der Studie aus der Vorlesung gerade erklären.

Neugierige Aufmerksamkeit. Ja also das sei so. Wenn man die Punktwolke (dargestellt war ein Scatterplott, durch den mit Regression eine "best fit"-Kurve gezogen war) in Völker aufteilen würde, und die dann einzeln betrachtet, dann würde sich das Problem erledigen. Schweigen. Nachdenken.

Prof fragt nach, wie er das meine. Ja genau so, wie er das gesagt habe. Verwirrung. Die Uhr zwingt zum Aufbruch, die Profs verabschieden sich, hetzen weiter. Oder flüchten, je nach Blickwinkel und lassen mich mit dem begeistert an seiner Idee festhaltenden Studenten zurück. Der hängt sich an mich. Ich will auch nach Hause.

Wie ich denn das sehen würde. Was er jetzt genau meint, frage ich vorsichtig nach und befürchte das Schlimmste. Ja die Idee, das unter dem Aspekt des Volkes zu betrachten. Ich versuche mich - erfolglos - an irgendeinen validen akkademischen Ansatz zu erinnern, der die Verwendung von "Volk" als wissenschaftliches Kriterium rechtfertigt und starre ihn verwirrt an: "Volk?" Ich werde aufgeklärt. "Ja, Volk. So, wie wir ein Volk sind." Noch immer fehlt mir die Brücke zwischen Wissenschaft und Volk. Ich frage vorsichtig nach: "Volk ist jetzt nicht gerade ein wissenschaftlicher Begriff im Kontext der Studie...".

Man reagiert unwirsch. Selbstverständlich ist "Volk" ein wissenschaftlicher Begriff. Der steht ja schließlich auch im Grundgesetz: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus! Meine Anmerkung, dass das Grundgesetz nur sehr eingeschränkt ein wissenschaftlicher Text ist, gilt offenbar nicht: "Ich lasse mir 'Volk' nicht kaputtreden. Das ist ein gutes Wort." Mag ja sein, erwidere ich, aber erstens ist der Begriff außerhalb der Geschichtsforschung reichlich problematisch und zweitens ist er extrem ungenau, weil es an einer einheitlichen Definiton fehlt. Ich hätte ja keine Ahnung. Volk sei doch sowas von eindeutig.

Ah ja. Vorsichtig werfe ich die Frage auf, wie sich denn Volk definiert. Ja über Herkunft und Verwandtschaft, selbstverständlich, das wisse doch nun wirklich jeder. Gut, ich bin nicht jeder, aber sei es drum. Ja, zugegeben, das ist eine mögliche Definition von "Volk", aber es ist eine extrem problematische: Gehört zum "Volk" nur der, der innerhalb eines abgegrenzten geographischen Raums von schon vorher da lebenden gezeugt wurde? Wenn ja, ist jedes Volk reichlich inzestgefährdet. Wenn nein, dann ist der Begriff zur Abgrenzung ungeeignet, weil eine oder sogar beide maßgeblichen Kriterien (Verwandtschaft, Herkunft) irrelevant sind. Ich weise ihn vorsichtig auf mein Problem mit seinem Denkmodell hin.

Natürlich habe ich unrecht. Es gäbe ja noch dieses verbindende Element, das ein Volk zu einem Volk macht. Achso. Ja. Jetzt, wo er es sagt. "Welches denn?" war offenbar nicht die richtige Frage, wie sein strafender Blick mir verrät, der gleichzeitig vermittelt, wie intellektuell zurückgeblieben ich doch bin. "Ja 'Tschuldigung, aber mir ist das wirklich nicht klar." Ich werde aufgeklärt. Das, was ein Volk in seinem Innern erst zum Volk macht, sind die in ihm kommunizierten und tradierten Wertemodelle. "Okay", denke ich mir, "dann sind kultureller Wandel und gesellschaftlicher Wertewandel offenbar Denkfehler...". Und außerdem sei die genetische Verbindung maßgeblich, die von außen erkennbar sei.

Ich sehe ihn mir genauer an. Mittelscheitel, feinkariertes Hemd, Outdoor-Hose, Schnürschuhe aus braunem Leder... Übles dem, der Übles denkt. Mein Einwand, dass er sich mit der Sichtweise bedenklich nah an der Eugenik bewegt, lässt er nicht gelten. "Ich lasse mir mein Volk nicht wegnehmen und das Wort auch nicht schlechtreden." Aber meine Defizite wären leicht mit etwas Bildung zu beheben. Ich sollte mich einfach mal mit ihm treffen, dann würde ich das schon verstehen, schließlich müssten wir zusammenhalten und dürften uns nicht über Kleinigkeiten wie Debatten um Begriffe auseinanderdividieren lassen...

Ich hatte es plötzlich sehr eilig. Dringend musste ich in die exakt andere Richtung und verabschiedete mich mit den Worten "Dann bis demnächst und... viel Erfolg beim Studium..." Freudig grüßte er zurück und zog von dannen.

Ich war (und bin noch immer) ehrlich bestürzt. "Meine" Uni ist eine historisch eher liberal-links ausgerichtete Uni, an der ich solche Erlebnisse nicht erwartet habe und ich bin ehrlich überfordert mit der Frage, was ich jetzt tun soll. Es dabei belassen scheint mir intuitiv falsch...

Dienstag, 28. Mai 2019

Zitat des Tages (24)

Das muss man als Video gesehen haben, um es zu glauben:



Die Dame - Annegret Kramp-Karrenbauer - ist nicht einfach "nur" irgendeine CDU-Angehörige. Diese Dame ist Bundesvorsitzende der CDU und strengt sich an, nächste Kanzlerin dieser Republik zu werden. Ihre Äußerungen sind deshalb nicht die irgendwelcher Parteigänger. Was die Dame hier sagt, ist ein Frontalangriff auf fundamentale Grundrechte:

Als die Nachricht kam, dass sich eine ganze Reihe von YouTubern zusammengeschlossen haben, um einen Aufruf zu starten, Wahlaufruf gegen CDU und SPD, habe ich mich gefragt, was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von sagen wir mal 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten: "Wir machen einen gemeinsamen Aufruf 'wählt bitte nicht CDU und SPD.'" Es wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen und ich glaube, es hätte eine muntere Diskussion in diesem Land ausgelöst und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmacher was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein. Das ist eine sehr grundlegende Frage, über die wir uns unterhalten werden, und zwar nicht nur wir in der CDU und mit der CDU, sondern, ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und auch demokratietheoretischen diskussionen der nächsten Zeit wird das eine Rolle spielen und deswegen werden wir diese Diskussion auch sehr offensiv angehen."
(Annegret Kramp-Karrenbauer am 27.05.2019 in Berlin)

Natürlich bezieht sich "AKK", wie sie landläufig auch genannt wird, auf das Video "Zerstörung der CDU" von Rezo. Ob Rezo in allen Punkten en Detail Recht hat, ob alle Punkte sauberst durchdekliniert "auf den Punkt" gesetzt oder "faktentreu" oder "wahr" sind... geschenkt. Viel wichtiger ist, dass es dieses Video gibt, dass "die junge Generation" sich geäußert hat, dass sie ihre Kritik formuliert hat und(!) dass sie die Tür für Gespräche geöffnet hat.

Sollte irgendjemand das Rezo-Video noch nicht kennen, hier eine 55 Minuten lange, sehenswerte "Diskurseröffnung", die man ernsthaft als politisch wenigstens halbwegs interessierter Mensch gesehen haben sollte:



Wie gesagt: Man kann Rezos Meinung sein oder nicht, das ist nicht der wichtige Punkt. Wichtig ist nicht was er sagt, sondern was - sozusagen - im Subtext 'rüberkommt: Die Parteien der Großen Koalition (CDU und SPD) halten ihre Versprechen nicht und machen in erster Linie eine Politik, die nicht der breiten Masse zugute kommt, sondern Wirtschaft und einer kleinen Elite.

Grundsätzlich eine vollkommen legitime Meinung, die Rezo mit einer beachtlichen Menge Quellen zu belegen versucht. Ob die Recherche im wissenschaftlichen Diskurs bestehen kann, spielt keine Rolle, denn Rezo hat sich eine Meinung gebildet und kann seine Meinung belegen. Alleine das ist mehr, als ich über viele meiner Alltagsgesprächspartner sagen kann. Rezo ist mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit gegangen und hat dazu einen Weg gewählt, den er beherrscht und auf dem er eine breite Öffentlichkeit erreichen kann, die bereit ist, ihm zuzuhören: YouTube.

Die Parteien waren (und sind) nicht dazu in der Lage, schnell auf diesen Angriff auf breiter Front zu reagieren. Was an Reaktionen folgte, war desaströses Negativbeispiel dafür, wie man nicht mit seinem Gegenüber kommunizieren sollte und bestätigte letztendlich genau das, was Rezo ursprünglich kritisiert hatte. Die Reaktionen der (angesprochenen) Parteien waren in einem Wort: hilflos.

Heute, am Tag nach der Europa- und Bremer Bürgerschaftswahl, äußert sich also die Bundesvorsitzende der CDU. Nicht nur ich habe eine Reaktion von ihr erwartet. Diese Reaktion habe ich jedoch nicht erwartet. Was sie im Kern sagt, ist Sprengstoff. Sie stellt YouTube-Publizierende auf eine Stufe mit Zeitungsredaktionen. Vulgo: Ob Rezo oder Biggi oder Gronkh oder FAZ oder Spiegel oder SZ... alles dasselbe. Hört, hört. Ich bin mir sicher, dass die Vertreter größerer Publikationen alleine diese Sichtweise mit einigen Anmerkungen kommentieren möchten.

"Meinungsmache". Landläufig ist "Meinungsmache" ein Synonym für "Medienmanipulation". Eine Meinung haben und sie publizieren ist "Meinungsmache"? Hm. Ob eine auf YouTube veröffentlichte Meinung als Medienmanipulation gelten kann? Sehr schwierig, denn zumindet hier ist offensichtlich, dass jemand eine Meinung hat, worauf sich diese Meinung gründet und wer diese Meinung vertritt und warum. Ist das "Meidenmanipulation"? Gut, kann "man" so sehen, ist schließlich auch nur eine Meinung, die man haben kann oder eben nicht. Aber dieses Video in den Kontext mit "Regeln für Meinungsmache" setzen? Ist hier wirklich eine "einseitige, tendenziöse und/oder verzerrte Darstellung von Fakten und Geschehnissen in den Massenmedien" gegeben? Ich habe Zweifel. Für dieses Video gilt doch wohl, was unsere Verfassung dazu feststellt:

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Art 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Soweit die mir zugänglichen "Quellen" das beurteilen, erfüllt das Video von Rezo keinerlei (straf-)rechtlich relevanten Tatbestand (z. B. Beleidigung (§185 StGB), üble Nachrede (§186 StGB), Verleumdung (§187 StGB, Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens (§188 StGB), Wahrnehmung berechtigter Interessen (§193 StGB), etc.). Das Video erfüllt ganz eindeutig die Kriterien der Meinungsäußerung. Es ist offensichtlich eine durch Art. 5 (1) GG gedeckte Meinungsäußerung, die die Regeln der Verfassung und Rechtstaatlichkeit einhält. Was die Bundesvorsitzende der CDU mit "was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich" meint, ist eine spannende Frage, denn sie unterstellt, dass unterschiedliche Regeln für diese Bereiche gelten könnten oder sollten.

Die Feststellung, dass Sie diese Diskussion sowohl in der Partei, aber auch "demokratietheoretisch" erzwingen will, sollte uns alle sehr genau hinhören lassen. "Demokratietheorie" ist der Bereich der Wissenschaft über die Demokratie. Damit spielt man nicht. Wenn eine Parteifunktionärin sich anmaßt, eine wissenschaftliche Diskussion diktieren, anordnen und steuern zu können, ist höchste Aufmerksamkeit gefordert, insbesondere dann, wenn diese Diskussion einer Änderung der Verfassung vorgeschaltet ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass über den Umweg einer (pseudo-)wissenschaftlichen Debatte höchst bedenkliche politische Entscheidungen mit fatalen Folgen durchgeboxt worden wären (Stichworte: Kreationismus, Rassengesetze, Abgasnormen, Schwulentherapie, etc.)

Artikel 5 GG steht damit für Frau Kramp-Karrenbauer insofern zur Disposition, dass er zumindest 1. für bestimmte Lebensbereiche, 2. bestimmte Meinungsmacher und 3. bestimmte Zeiträume unterschiedlich gelten soll. Das Ergebnis soll am Ende sein, dass Meinung frei geäußert werden darf, solange sie Wahlergebnisse von Parteien nicht negativ beeinflusst, oder wie?

Den Auslöser der "Karnevalsdiskussion" um die Anwärterin auf die Nachfolge meiner Kanzlerin Angela fand ich bereits verstörend. Die Haltung zur Ehe für alle finde ich befremdlich. Die Einstellung zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ebenso. Die Umdeutung der Nomenklatur "Natur" und "Umwelt" auf "Schöpfung" ist für mich ein schwieriges Signal. Insgesamt hat sich die eventuell zukünftige Kanzlerkandidatin nun nicht gerade in die Top 10 meiner Favoriten für diesen Job befördert. Mit diesem Statement jetzt halte ich diese Dame für ein Problem, das weit über Aspekte von Sympathie und Antipathie hinausgeht. Es würde mich nicht wundern, wenn sich AKK noch als schwerwiegendes Problem für CDU und dieses unser Land entpuppt.

Andererseits soll ich ja nicht immer alles so negativ sehen. Gut, Die Jacke steht ihr. Das ist doch schonmal was. Aber ob das für eine überzeugte Wahlempfehlung reicht?

Mittwoch, 27. März 2019

Kino-Jubiläum

20 Jahre. Und noch immer großartig.

Freitag, 1. März 2019

Es ist Karneval...

...und was ich davon halte, bringt Oliver Kalkofe ziemlich exakt auf den Punkt:

Mittwoch, 27. Februar 2019

Zitat des Tages (23)

"The whole art of war consists in getting at what is on the other side of the hill, or, in other words, in learning what we do not know from what we do."
{Arthur Wellesley, 1st Duke of Wellington)

Was sich so völlig aus dem Zusammenhang gegriffen anhört, ist genau das, was ich gerade mache. Ich versuche - mit einigen Büchern bewaffnet - Zahlen an die Wäsche zu gehen, um etwas herauszufinden. Ich spiele mit "R" und einem Datensatz herum, den ich selber kompiliert habe. Ich habe eine lustige Zeitreihe und viiiiele Datenpunkte und ich will zeigen, dass eine dieser Wertereihen "irgendwie" mit allen anderen kausal zusammenhängt. Ganz im Sinne des "Alles ist mit allem verbunden", wie Hildegard von Bingen dereinst schon feststellte. Auch wenn sie sicher nicht an die Art Verbindung dachte, die ich gerade zu finden zeigen versuche.

Immerhin: Während ich gegen viele lustige Zahlen und Verfahren an arbeite, habe ich bereits einiges gelernt, das ich bis dato (in den Vorlesungen) noch nicht gelernt hatte. Meine wichtigsten Erkenntnisse bisher lauten:

  1. R und R Studio unterscheiden sich von emacs in erster Linie durch ein benutzerfreundlicheres Interface.
  2. Wenn Du mit genügend Ausdauer möglichst viele "Dinge" auf Zahlen loslässt, beweisen die am Ende sogar die Existenz diverser kleinerer Götter.
  3. Nur weil Du eine Statistik gebaut hast, bedeutet das noch lange nicht, dass Du auch verstehst, was sie Dir zeigt.
  4. "Hä?", "Warum...?", "Samma...", "WTF?!", "leck mich doch..." und "janee, iskla" sind völlig legitime wissenschaftliche Ausdrücke.

Immerhin: Ich habs geschafft, zwei Statistik-Kommolitonen aus dem vergangenen Semester, die während der Vorlesungen deutlich mehr Durchblick hatten als ich, zu folgender übereinstimmender Erkenntnis zu bringen:

"Du brennst doch."

Mancher Leser wird jetzt vielleicht sagen: "Achwas?"

Montag, 25. Februar 2019

Uni(er)leben (3)

Ich bin in sowas:

$ K1 <- read.csv("R_Test_4.csv", header = T, sep = ";")
$ m45 <- lm(Jahr ~ SB + REB + LEB + IEB + AFH + VDM + VDW, data = K1)
$ m55 <- lm(Jahr ~ SB + REB + I(REB^2) + LEB + I(LEB^2), data = K1)
screenreg(list(m45,m50))

offensichtlich besser als ich dachte.

Statistik 2 wurde mir mit Note 1.0 eingetragen...

...wie ich das gemacht habe, weiss ich selber nicht, aber ich feiere das jetzt.

Samstag, 23. Februar 2019

Zitat des Tages (22)

"Dateien, die die schrecklichen Taten hätten dokumentieren und die Verantwortlichen benennen können, wurden zerstört oder gar nicht erst erstellt. Die für die Strafverfolgung festgelegten Verfahren und Prozesse wurden bewusst nicht eingehalten, sondern abgebrochen und die Dateien überschrieben."
(Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, laut CNN)

...bitte WAS?!

Donnerstag, 21. Februar 2019

Zitat des Tages (21)

"Die Regeln der Demokratie verlangen ein hohes geistiges Niveau und ein hohes Maß an Selbstsicherheit. Je weniger gebildet und je unsicherer ein Mensch ist, desto eher wird er dazu neigen, die Politik zu simplifizieren, desto weniger wird er die Toleranz gegenüber anders Denkenden verstehen und desto schwerer wird er sich zur Bejahung einer gemäßigten Politik durchringen können."
(Seymour Martin Lipset, "Political Man", 1960, S. 112)

Schon damals hatte mancher ziemlich erschreckenden Weitblick, wie wir heute lernen...

Mittwoch, 20. Februar 2019

Uni(er)leben (2)

Klausuren sind die Leiden des Studenten. Mir bleiben sie auch nicht erspart, aber was tut man nicht alles für das Fernziel des Abschlusses. In meinem Fall standen dieses Semester Klausuren in einer erwarteten und einer unerwarteten Nemesis an: "Statistik 2" und "Einführung in die Politikwissenschaften". Erstere war einer der Gründe, warum "damals" das Ganze pausiert wurde, letzteres überraschte mich dann doch sehr, denn eigentlich bin ich in "Sachen Politik und die Theorie dahinter" nicht gänzlich betriebsblind. Dachte ich jedenfalls.

Statistik 2 als Vorlesung lief dank eines wirklich ambitionierten und leidensfähigen Tutors und eines den neuen Medien und entsprechend moderner Lehrmethoden gegenüber aufgeschlossenen Professors zu meiner nicht enden wollenden Verblüffung ziemlich gut. Ich hab sogar Dinge begriffen, von denen ich nie erwartet hätte, sie jemals in meinem Schädel verankert zu bekommen! Ob ich die Klausur bestanden habe... wir werden sehen, aber Regressionsanalyse und so hab ich jetzt einigermaßen Plan von. Nicht dolle, aber so grundsätzlich... (ja, darauf bilde ich mir was ein!)

Einführung in die Politikwissenschaften war... nunja. Der Prof, seines Zeichens jung, dynamisch und irgendwie "strange", hat eine bemerkenswerte Einstellung dem Fach und seinen Studenten gegenüber: Beides scheint ihm ziemlich egal zu sein. Anders ist kaum zu erklären, dass als "relevante Literatur" zwei handliche Taschenbücher mit jeweils 600 Seiten (ja, sechshundert, ja, jeweils) genannt wurden:

Aus denen wurden dann zu jeder Vorlesung beliebig viele Seiten als "vorher gelesen" vorausgesetzt. "Gelesen" bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich nicht "man hat es mal aus einiger Entfernung beiläufig im Vorübergehen gesehen", sondern "bekannt", im Sinne von "man weiß, was da steht". Damit uns Studentennicht langweilig wird, gab es in jeder Vorlesung dazu noch frei interpretierten Stoff verteilt auf 30-40 Folien, von denen in der Regel nur 25 in der Vorlesung wirklich behandelt wurden.

Das - selbstverständlich "freiwillige" - Seminar zur Vorlesung (früher hieß sowas "Tutorium") fügte dem dann noch zu jedem Termin einen beliebig lang(atmig)en und komplexen Fachaufsatz (mal deutsch, mal englisch) zu beliebig absurder Thematik hinzu, der als Referat von den Studenten zu erarbeiten (durch die Vortragenden) und zu erleiden (vom Rest) war. Bonus: Alle Aufsätze wurden hinterher ebenfalls als bekannt vorausgesetzt.

Alle 14 Stück.

Pi mal Daumen reden wir von rund 2.000 Seiten Text, die während dieses einen Semesters gelesen werden wollten. Jetzt könnte man natürlich sagen "ach komm, mal eben was lesen ist doch kein Thema". Habe ich am Anfang der Vorlesung auch gesagt. Und auch so gemeint.

Als dann aber non chalant die Spieltheorie in umfassender Breite und Tiefe eingeführt wurde und Wahlen in kleinen und großen Gruppen auf nicht nur grundsätzlich theoretischer, sondern ausufernd mathematischer Ebene, fing die Sache an mehr als nur ein wenig unlustig zu werden.

Dann ging es langsam auf Weihnachten zu und man - also wir, die wir schlau gucken - fragten nach - den, der da vorne steht und schlau redet - was denn so in Sachen Klausur auf uns zu käme und ob man da vielleicht grob eingrenzen könne, weil es sei doch etwas viel...

Nö.

Kann man nicht. Zur Klausur wurde ernsthaft ALLES vorausgesetzt. In der letzten Vorlesung vor dem Klausurtermin wurde zwar ein wenig eingegrenzt: "Das, was wir zur Empirie behandelt haben, das lasse ich weg, das lernen Sie beim Kollegen noch ausgiebig" (das waren so Pi mal Daumen 30 Folien und ein Kapitel Buch). Dafür wurde betont: "Das Thema 'Wahlen in Gruppen' sollten Sie können, und auch Präferenzmodelle sollten ihnen geläufig sein. Spieltheorie wird sicher auch ein Thema werden". Was im Klartext bedeutet: Wenn Du mutig bist, lernst Du auf Lücke. Und man solle sich "einen Aufsatz von Gerber" (Gerber/Green/Larimer "Social Pressure and Voter Turnout") doch genauer ansehen. Mit anderen Worten: Alles, was Spaß macht und alles, was wir dran hatten.

"Gut," dachten wir, "das wird schon... Irgendwie. Hoffentlich."

Ich habe in meinem Leben einige Klausuren geschrieben. Einfache wie schwierige, anspruchsvolle wie banale. Diese acht Seiten kombinierter Aufgabenstellung waren keine Klausur.

Das war ein Massaker.

Ich bin nicht derjenige, der Herausforderungen scheut, wenn sie denn sinnvoll sind - wobei "sinnvoll" ein durchaus dehn- und frei interpretierbarer Begriff ist. Ich habe mich deshalb auch ernsthaft auf diese Klausur vorbereitet. Ich war in jeder Vorlesung und bei jedem Seminartermin. Ich habe das meiste der beiden Bücher zumindest "intensiv überflogen" (mein Lesepensum ist konkurrenzfähig) und habe auch alle 14 Aufsätze inhaltlich "auf dem Schirm" gehabt. Ja, ich habe bei dem einen oder anderen Thema intuitiv auf Lücke gesetzt. Wenn schon Wahlen in großen Gruppen, dann Hare-Niemeyer und nicht d'Hondt oder Sainte-Laguë/Schepers. Sowas in der Richtung meine ich mit "auf Lücke". Ich habe auch nicht erst zwei Tage vor der Klausur damit angefangen, im Gegenteil. Seit deutlich vor Weihnachten war die Vorbereitung auf beide Klausuren - die übrigens in der ersten Februarwoche an zwei unmittelbar aufeinander folgenden Tagen geschrieben wurden, die eine montags um acht (no shit Sherlock), die andere dienstags um 16 Uhr - täglicher Begleiter.

Die 25 Multiple Choice Fragen waren... ernüchternd. Bei 10 bin ich mir sehr sicher, sie richtig beantwortet zu haben. Bei weiteren 10 hoffe ich es und bei dem letzten 5 gehe ich davon aus, dass ich daneben lag. Die restlichen 75 Punkte der Klausur ergaben sich aus Textaufgaben und das "Text" ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen. Einen Entscheidungsbaum für eine Rückwärtsinduktion in einer Textaufgabe dergestalt zu verpacken, dass ich die Aufgabe selbst beim dritten Mal lesen nicht mal ansatzweise geblickt habe, lässt schon einiges erahnen (ich glaube aber, sie zumindest zum Großteil richtig beantwortet zu haben). Aber ein komplettes Präferenzmodell zur Bearbeitung nach Condorcet und Borda (das sind so krasse Auszähltechniken, von denen ich vor diesem Semester auch nicht gedacht habe, dass sie wichtig sein könnten, sie es überraschenderweise aber doch sind) in eine Textaufgabe zu verpacken, die nicht einmal aus großer Entfernung und viel Bleistifteinsatz (Skizzen, Denkhilfen, Notizen) ansatzweise in ihre Bestandteile zu zerlegen war, war gar nicht lustig. Alleine die Analyse dessen, was der Aufgabensteller hier wohl von mir will, hat mich gut und gerne 15 Minuten und den besseren Teil meines Kaugummivorrats gekostet. Dazwischen tauchten dann Fragestellungen auf, bei denen man sich dachte: "wat?! Woher soll ich DAS denn wissen?"

Der Hit, nein, der Hammer war dann aber die abschließende, sich auf die Referate beziehende Textaufgabe mit 11 Punkten. Nein, nicht Gerber. Gerber kam in der ganzen Klausur nicht vor. Dafür aber ein völlig anderer Text, der in der Vorlesung nicht mal gestreift und im Seminar (mit viel gutem Willen) "stiefmütterlich" behandelt wurde (Ross "Does Oil hinder Democracy?") und da wurde dann nach "den drei Methoden" gefragt, die der Autor identifiztiert hatte, mit denen Staatenlenker unter anderem hantieren, wenn...

Ich war selten so dermaßen ratlos in einer Klausur. Ja, ich wusste schon einiges. Und ich wusste auch mehr, als abgefragt wurde. Aber ich hatte eben vieles nicht auf dem Schirm, das abgefragt wurde und das war dann schon eher ein Problem. Abschreiben und Kooperation war vollkommen ausgeschlossen. "Everyone for himself" war die Devise. Eine Studentin brach einfach nur zusammen und wurde 'rausgetragen. Diverse Studenten hakten das Thema hinterher mit den Worten ab "Wechsle ich halt das Fach." Selbst unsere Cracks sagten nach der Klausur "Wenn ich da mehr als 2/3 richtig hab, ist das Glück, nicht Können." Ob ich die Klausur bestanden habe, weiß ich nicht. Ich hoffe "ja", aber sicher bin ich mir nicht und wenn, dann eher knapp als deutlich.

"Fair" war die Klausur nicht. Zumal das eigentlich eine Einführungsvorlesung war. Da sitzen Ersties. Die haben nicht mal ansatzweise von Politik das gehört, was andere schon wieder vergessen haben. Denen so eine Klausur vorzulegen, ist schon etwas daneben. Kann ja sein, dass "sowas" im Dritten Reich und CSU-lastigen Dorfschulen adäquter Unterrichtsstil ist, aber ich habe doch Zweifel, dass diese Art der Stoffvermittlung als "zielführend" bezeichnet werden kann, wenn das Ziel nicht darin besteht, die Studenten loszuwerden.

Didaktisch und pädagogisch ist der Prof zumindest in der Vorlesung eine vollendete Nullnummer, auch wenn er fachlich bestimmt gut ist. Wie man soeinen aber auf Studenten loslassen kann, der so erkennbar gar nicht interessiert ist an genau denen, die er betreuen soll, ist mir ein völliges Rätsel. Aber damit bin ich nicht alleine, wir mir viele Kommolitonen bestätigen, die den Herrn schon seit einigen Jahren kennen und ihm ebensowenig Lehrkompetenz zubilligen, was er aber mit Fachwissen dann wieder deutlich aufwiegen soll.

Naja. Wenn ich die Klausuren bestanden habe, werde ich das feiern. Wenn nicht, muss ich halt nochmal 'ran. "Hilft ja nix."

In der Zwischenzeit habe ich bis Ende März noch zwei lustige Forschungs(klein)projekte auf dem Tisch. Das eine dreht sich um das Gehalt von Lehrern und welche Aspekte internationaler Politik darauf Einfluss haben. Das andere - mein aktuelles Steckenpferd - beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Kneipen in Deutschland und politischem Extremismus. Beide muss ich bis Ende März abgegeben haben.

Stay tuned.

[ Update ]

Nur knapp 6 Stunden nach dem Artikel da oben und nur (das ist wirklich nicht ironisch gemeint) etwas mehr als eine Woche nach der Klausur habe ich gerade über das Uni-Infosystem erfahren, dass ich Politik bestanden habe.

Endnote: 2.3

Freitag, 25. Januar 2019

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Was macht er gerade?

Seit gut drei Monaten besuche ich wieder die Uni. Ich habe mir gedacht: "Wenn meine Frau neben ihrem Job studiert, dann kann ich das doch eigentlich auch?" Hinzu kam die Frage von Nils "Samma, warum hast Du Dein Studium eigentlich nicht abgeschlossen?" Beides zusammen sorgte dafür, dass ich jetzt meine Freizeit gegen Lernzeit eingetauscht habe und mich an der Uni Oldenburg herumtreibe.

Was studiert er? "Sozialwissenschaften". Steht jedenfalls auf dem Papier. In der Praxis ist das bemerkenswert viel Mathe. Statistik II "beglückt" mich mit einer traumatischen Menge Formeln, die ich mir irgendwie in den Schädel schrauben muss. Das war aber zu erwarten. Nicht erwartet habe ich, dass "Einführung in die Politikwissenschaften" zu einem Großteil auch aus Mathe besteht. Rational Choice, Fraktionalisierungsindex, Condorcet-Theorem, Condorcet-Paradox, Condorcet-Verfahren, Borda-Verfahren, Räumliche Präferenzmodelle... Das ist alles doch schon mehr Mathe unter der Haube als erwartet. Oben drauf kommen noch die großen Meta-Theorien. Habermas, Luhman, Giddens, Weber, Horkheimer, Marx, Plessner, Bourdieu, Foucault und wie sie alle heißen. Und weil mir ja sonst langweilig wird jede Woche noch mindestens ein einigermaßen aktuelles "Paper" pro Vorlesung. "Paper" kann ein Artikel sein, ein Ausschnitt aus einem Buch oder ein Essay oder eine Studie. Umfang in der Regel 20-50 Seiten je Paper. So ein Tag kann dann schon mal überraschend kurz sein. Aber hey, ich habs ja so gewollt und ja, das Ganze macht überraschend viel Spaß! Mir zumindest. Ich darf lesen, ich darf denken und ich darf dazu-lernen. Das ist schon toll.

Ein paar Dinge finde ich allerdings erschreckend. Obwohl mir ein ganzer Batzen Scheine aus meinem ersten Studium angerechnet wurden, sind ein paar doch "verloren" gegangen. Die muss ich dann halt nochmal machen. Gottseidank bleibt mir "Einführung in das politische System der Bundesrepublik Deutschland" erspart. Hätte ich das auch noch belegen müssen, ich hätte mich glaube ich etwas übergeben. Wie auch immer, jedenfalls habe ich ein paar Vorlesungen zusammen mit Ersties. Damals (als das Rad noch brandneu und das Feuer sich gerade erst durchgesetzt hatte) waren Erstis... wie soll ich sagen. Damals haben sich Erstis jedenfalls nicht gegenseitig mit "Sie" angesprochen. Insgesamt war Uni entspannter, weniger verkrampft. Bei etlichen Leuten habe ich den Eindruck, die haben mega den Stock im Arsch. Gott, Kinners, macht Euch mal locker. Das ist Uni, nicht Krieg. Und die Leute können und wollen nicht debattieren. Ernsthaft. Können nicht. Also so gar nicht.

Ich kenne Uni ja noch so, dass der Prof mal eine Frage in den Saal wirft, man dann seine Klugheit meint beweisen zu können (meistens, weil der Prof einen freundlich dazu eingeladen hat mit den Worten: "SIE! Ja, genau SIE! Was sagen sie dazu?"), um selbige dann freundlich (von Kommolitoninnen) oder schwungvoll (vom Prof) links und rechts um die Ohren gehauen zu bekommen. Heute? Selbst im Seminar ist das reiner Frontalunterricht, weil die Studies die Zähne nicht auseinanderbekommen. Wenn die Seminarleitung Fragen an den mit 30 Leuten besetzten Saal stellt, darf sie sich schon den Tag rot ankreuzen, wenn sich mal EINER meldet. Oder besser, wenn sich mal jemand anderes meldet außer mir. Die Profs können den größten Blödsinn erzählen, die Studierenden konsumieren das ohne Protest und Frage. Da könnte sich sonstwer hinstellen und verkünden "Marx hat gesagt, die Erde ist eine Scheibe" und das würde garantiert so aufgeschrieben und auswendig gelernt.

Sowieso "auswendiglernen". Es gibt tatsächlich extrem viele Lehrkräfte, die davon überzeugt sind, Frontalunterricht und Auswendiglernen seien the latest shit of Lehre. Nope, Leude, wrong. Gut, manche Dinge muss man sich "as is" in den Schädel wemmsen. Formeln, zum Beispiel. Da hilft alles nichts. Aber Theorien und Denkmodelle? Da gibt es ganz eindeutig bessere Methoden, um die zu begreifen. Aber nööö... *seufz*

Die Uni ist inzwischen "voll digital". Oder besser "überwiegend mit digitalen Möglichkeiten erweitert". Bei manchen Dingen merkt man aber, dass da ein Komitee intensiv und lange am grünen Tisch drüber debattiert hat und das dann auf Grundlage von Penislänge, Oberweite, Futterneid und Mondstand entschieden wurde. Dieses zentrale Informationsmanagementsystem, zum Beispiel. Das wurde von Leuten gebaut, die das nie selber benutzen mussten. Anwenderfreundlich wie ein Sack Sülze und in Sache "intuitiver Benutzung" auf dem Stand der frühen 1970er Jahre.

Wir haben zum Beispiel überall W-Lan. Das ist cool. Auch die Bandbreite des W-Lan ist ordentlich, selbst in voll besetzten Hörsälen. Wer jetzt aber meint, für die Anmeldung in diesem Netzwerk wäre das Aufrufen der üblichen Netzwerkkonfigurationsdialoge, eingeben von Benutzername und Passwort ausreichend, irrt. Hier darf man sich erstmal ein Stück Software ziehen, das $irgendwas mit $Hardware tut. Danach darf man obskure Zertifikate absegnen, von der das Betriebssystem der eigenen Hardware sagt: "Jung, echt jetzt?". Dann darf man dann seine Nutzerdaten in die Software eingeben und danach dann über die üblichen Netzwerkdialoge...

Noch besser ist aber dieses zentrale, Web-basierte Informationssystem. Die Hilfstexte und Anleitungen liegen so gut versteckt, dass die ohne Wissen wo und wie die zu finden sind, nicht zu finden sind. Ich vermute ja, dass so den Studierenden die Bedeutung des Wortes "Tautologie" beigebracht werden soll. Noch besser ist aber, dass in diesen Hilfstexten mit der angebotenen Suche die naheliegenden Suchbegriffe nicht gefunden werden. Der Hammer ist aber, dass im Problemfall das Personal im Kreis herum auf Funktionen verweist, die auf Personal verweisen, das dann auf Funktionen verweist, die auf Personal verweisen, das... to coda.

Ich wollte mir einen Termin bei einem freundlichen Menschen verschaffen, um mit dem über die Anrechnung meines Praktikums zu reden. Eigentlich eine Bagatelle, die in 5 Minuten durch die Tür sein könnte. Bevor ich aber überhaupt herausgefunden habe, wie dieser Mensch überhaupt zu erreichen ist, sind schon zwei Stunden ins Land gegangen. Habe eine freundliche Email geschrieben, kurz mein Anliegen und die notwendigen Hintergrundinfos mitgeteilt und um einen Termin gebeten. Kam die Erschöpfend umfangreiche Antwort: "Bitte melden Sie sich über das System zu einem Termin an." Jetzt rate mal, was NIRGENDS erklärt ist. Exakt. Wo und wie man bei jemandem in diesem System an Termine herankommt. Keine Chance. Ich musste tatsächlich drei Mitstudierende interviewen und zu viert haben wir dann ernsthaft mindestens 20 Minuten lang gesucht. Irgendwann haben wir das dann gefunden: Über das System die Info-Seite der betreffenden Person aufrufen. Dort über einen nur da(!) angegebenen Link zu einer zweiten Info-Seite aufrufen. Die Seite gaaaaaanz nach unten scrollen und da dann in einer Aufklappbox: Tadaaaa! Mal ehrlich: Sowas kann sich auch nur jemand ausdenken, der sich für das Binden einer Schleife eine sechzehnseitige Abhandlung schreibt, oder?

Ungefähr in dieser Art läuft das überall in dem System. Anmelden zu Veranstaltungen ist auch geil. Zu Vorlesungen gab es früher Tutorien. Das sind heute "Seminare". Gut, meinetwegen. Um Namen streite ich mich nicht. Zu jeder Vorlesung werden mehrere Seminare angeboten. Wenn man seinen Stundenplan zusammenstellt, kommt es immer wieder zu Überschneidungen. Das ist okay, darum gibt es ja Ausweichtermine. Die Anzahl der freien Plätze in den Seminaren ist begrenzt. Auch das ist nachvollziehbar und okay, dafür gibt es Wartelisten. Wenn man als Student jetzt in der traumhaften Situation ist, dass man an einer Veranstaltung teilnehmen möchte, dort aber nur einen Wartelistenplatz bekommen hat, dann kann man sich da zwar eintragen, aber entgegen jeder Logik kann man dann nicht etwa nachsehen, ob eins der anderen Seminare derselben Veranstaltungsreihe noch freie Plätze hat. Nö. Sobald man sich irgendwo eingetragen hat, ist Schluss. Man muss dann tatsächlich seinen Wartelistenplatz aufgeben, um sich bei dem anderen Seminar einzutragen, um zu erfahren, ob man da direkt dann teilnehmen darf oder ob man auch hier auf Warteliste steht... Wer auch immer sich DAS ausgedacht hat: Bitte lauft mir nicht über den Weg.

Ansonsten: Uni ist toll. Kann ich jedem nur empfehlen. Egal wie alt Du bist: Wenn Du Zeit hast und Bock, geh hin.

Mal schauen, was ich noch so alles zu berichten haben werde im Laufe der Zeit.

Freitag, 17. August 2018

Politiker - Deutsch, Deutsch - Politiker

Wenn ein Politiker sagt:

"Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen."
(H. Reul, CDU, Innenminister NRW)

Dann heißt das:

"Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. (...) Das bedeutet (...), dass Richter ihre Entscheidungen nach Recht und Gesetz treffen müssen (...) Ich habe die große Sorge, dass die (...) Bürger Entscheidungen staatlicher Institutionen immer weniger verstehen."
(H. Reul, CDU, Innenminister NRW)

Merke: "Richter" meint "alle staatliche Institutionen" und "Entscheidungen müssen dem Rechtsempfinden entsprechen" bedeutet "Entscheidungen nach Recht und Gesetz treffen". Wie leicht man Deutsch doch völlig falsch verstehen kann.

Die heute veröffentlichte "Übersetzung" hat mit der Bemerkung meiner Kanzlerin bestimmt nichts zu tun. Die sagte nämlich:

"Es gilt für uns (...), dass die Entscheidungen von unabhängigen Gerichten zu akzeptieren sind, dass wir sie umsetzen müssen."
(A. Merkel, CDU, Bundeskanzlerin)

Fehlt eigentlich nur noch, dass sie ihm ihr "vollstes Vertrauen" ausspricht...


Bild: Foto-AG Gymnasium Melle / Wikimedia

Donnerstag, 16. August 2018

Maut (4)

Es begab sich aber im Jahre 2006, da schrieb ich:

"Und wenn die kommt, dann ist die Pkw-Maut da.
Wetten?
("Maut", 17.07.2006)

...und wurde dafür ausgelacht.

Die Bundeskanzlerin hat sich am Dienstag im Umspannwerk der Imaginata in Jena den Fragen von Bürgern gestellt. Die Ostthüringer Zeitung berichtet:

"Ich hab's ja gesagt!" Aber wenigstens heißt es zur Zeit noch, dass für deutsche Autofahrer diese Maut über die KFZ-Steuer verrechnet wird. Es soll demnach keine zusätzliche Gebühr erhoben werden. Aber darf ich mal spekulieren? Nach dem Debakel mit TollCollect und deren großzügiger Auslegung der dem Unternehmen zustehenden Erlöse, wird die große Politik Wege finden, das Minus auszugleichen. Auch der Dieselskandal, die teilweise dramatischen Zustandsberichte über Deutschlands Brücken und Straßen, der notwendige Ausbau der Infrastruktur für "alternative Antriebe" und andere Probleme, werden schon bald die Frage aufwerfen, wie das alles bezahlt werden soll. Ob da die KFZ-Steuer unangetastet bleibt? Ich habe begründete Zweifel.

Montag, 6. August 2018

Freiwillig will keiner? Dann eben mit Zwang!

Angestoßen durch die offenkundige Inkompetenz der großen Politik, in den für die Gesellschaft überlebenswichtigen Berufsfeldern der sozialen Dienstleistungen wie Alten- und Krankenpflege, aber auch Bundeswehr und Kinderbetreuung Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen diese Berufe am Arbeitsmarkt auch nur halbwegs konkurrenzfähig wären, aber eben auch wegen dem einem nicht Wollen oder nicht Können geschuldeten Ausbleiben, einen übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, erweckt die heimliche Favoritin auf das Thronerbe der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und trifft bei Vertretern aller Fraktionen auf Zustimmung.

Die Frage, ob eine Berufsarmee, die sich ausschließlich aus freiwillig Dienstleistenden rekrutiert, gesellschaftlich eine gute Idee ist oder nicht, wurde bereits im Vorfeld der Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland ausgiebig diskutiert. Die Hinweise auf die Erfahrungen aus der Weimarer Reichswehr und der auch unbestritten zu beobachtenden Tendenzen hin zur Entstehung von parallelgesellschaftlichen Strukturen in Berufsarmeen waren schon 2010 durch internationale Beispiele bekannt (US Marines Corps, US Army, Fremdenlegion, etc. pp.). Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass auch die Bundeswehr nicht davor gefeit ist. Erinnert sei exemplarisch an Oberleutnant Franco A., die Vorgänge in der Staufer-Kaserne Pfullendorf, in der Edelweiß-Kaserne in Mittelwald, oder auf dem Schnellboot Hermelin.

Die Warnungen, dass eine Berufsarmee, bedingt durch Struktur und Wesenskern, eher dazu führt, verstärkt im Ausland eingesetzt zu werden, haben sich im Kern ebenso bestätigt. Eine Armee aus Wehrpflichtigen kann - zumindest nicht ohne umfangreiche Eingriffe und Korrekturen im Grundgesetz - nicht im Ausland eingesetzt werden. Die Klagen über die "außerordentlichen Belastungen" der Bundeswehr durch Auslandseinsätze sind inzwischen nahezu gewohnheitsmäßiger Teil jeder Diskussion um beinahe jeden Aspekt der Bundeswehr. Auch die Dauer der Auslandseinsätze insgesamt hat zugenommen, ebenso wie die fast selbstverständliche Inanspruchnahme der Bundeswehr durch die Bündnispartner, sei es im Kosovo, am Horn von Afrika, in Afghanistan oder in Mali.

Die Wehrpflicht ist in Deutschland durch Artikel 12a im Grundgesetz verankert. Durch Änderung des Wehrpflichtgesetzes wurde 2010 bestimmt, dass ab 2011 die Bundesrepublik die Einberufung zum Wehrdienst mit Ausnahme des "Spannungs- oder Verteidigungsfalls" (WPflG Art. 1, Abs. 1a und 2) aussetzt. Theoretisch könnte der Staat die Wehrpflicht wieder einführen. Aber. Es waren gerade die Erfahrungen aus der Umsetzung der Wehrpflicht, die letzten Endes auch zu deren Abschaffung geführt haben. Das Stichwort "Wehrgerechtigkeit" mag manchem noch in deutlicher Erinnerung sein.

Die Wehrpflicht in Deutschland führte zu allerlei kuriosen Geschichten und Anekdoten und sorgte auch für die Justiz immer wieder für ausreichend Arbeitsbeschaffungsmöglichkeiten. Die Dauer des Wehrdienstes schwankte im Laufe der Jahre zwischen sechs und achtzehn Monaten, erreichte zwischen 1962 und 1973 ihren Spitzenwert. Danach wurde die Dauer langsam, aber stetig reduziert, am Ende auf sechs Monate. Selbst die Bundeswehr stellte am Ende öffentlich die Frage, ob Wehrpflichtige, die für neun oder sogar nur noch für sechs Monate eingezogen wurden, überhaupt noch dazu fähig wären, irgendeinen sinnvollen Beitrag zu leisten, selbst wenn sie es denn wollten.

Mit der Diskussion über die Einstellung des Wehrdienstes einher gingen Warnungen der caritativen Einrichtungen, die vor erheblichen Problemen im sozialen System warnten, denn mit Wegfall der Wehrpflicht würde auch zwangsläufig der Ersatzdienst ("Zivildienst") entfallen und das System würde nicht dazu in der Lage sein, das zu kompensieren (exemplarisch: Tagesspiegel 2011, Stern 2004, Deutschlandfunk 2009). Diese Warnungen haben sich als absolut zutreffend erwiesen.

Die CDU behauptet, dass die weltpolitische Situation eine Wiedereinführung der Wehrpflicht unumgänglich macht. Das ist- bei allem Respekt - Blödsinn. Es geht nicht um fehlende Soldaten, die ohnehin ausschließlich im Inland eingesetzt werden könnten. Die Bundeswehr hat nicht etwa deshalb zu wenige international einsetzbare Soldaten, weil grundsätzlich niemand dahin will. Es will nur kaum jemand für das Geld und schon gar nicht zu den Bedingungen. Selbst die Bundeswehr hatte damals nicht wirklich Bock auf die Wehrpflichtigen, die selber nur beim Bund waren, weil sie es mussten. Es hat den Staat unfassbar viel Geld gekostet, sich alleine mit dem Unwillen der Zwangsverpflichteten vor Gericht herumzuschlagen. Von den wirtschaftlichen Folgen des Unwillens bei der Armee kann sich ein Bild machen, wer sich mal mit ehemals Wehrpflichtigen beim Bier über die Zeit "beim Bund" unterhält.

Allerdings ist leicht zu durchschauen, was die Politik sich hier wirklich vorstellt. Spekuliert wird auf den Unwillen der großen Mehrheit der gerade volljährig Gewordenen, bei der euphemistisch "marode" zu nennenden Bundeswehr Zeit zu vertrödeln und stattdessen in einen der vielen Zivildienste auszuweichen. Da wären dann genau die billigen Zwangsarbeiter zu finden, die dem Pflege- und Sozialsystem fehlen. Zivildienst müsste nicht entsprechend der hochqualifiziert ausgebildeten Pflegekräfte bezahlt werden, sondern könnten mit einem gerade noch am Rande der Verfassungsmäßigkeit angesiedelten Mindestlohn den darbenden Chefetagen der Pflegekonzerne die dringend benötigte Entlastung bieten.

Zack - Sozialstaat Deutschland gerettet! Aber ist es wirklich so leicht? Artikel 12 Grundgesetz verbietet die Zwangsarbeit. Deshalb kann auch nicht "mal eben" ein allgemein verpflichtender Dienst für Staat und Gesellschaft geschaffen werden, der vielleicht "unter anderem" die Option "Dienst bei der Bundeswehr" anböte. Darauf wurde in der jetzt angestoßenen Debatte bereits hingewiesen. Beantwortet wurde dieser Hinweis durch den lapidaren Kommentar, dass man dann eben das Grundgesetz ändern werde. Gleichzeitig bemüht sich die CDU intensivst und hektisch darum, den Begriff des "Zwangsdienstes" aus der Debatte zu entfernen:

"(...) der Ersatzdienst für diejenigen, die keine Wehrpflicht leisten wollen, aus unterschiedlichen Gründen, ist auch vor dem Grundgesetz kein Problem. Ein allgemeiner Zwangsdienst ist das Problem - den fordert aber auch keiner."
Patrick Sensburg, CDU, in: DLF

Einen solchen generell für jeden verpflichtenden Dienst einzuführen mag sich auf dem Papier gut lesen. In den Chefetagen der sozialen Dienste werden zurzeit wahrscheinlich Freudenpartys gefeiert, denn die Ankündigung, für Krankenhäuser und andere Pflegeeinrichtungen verpflichtende Personalquoten einzuführen, wurden dort mit Blick auf die Bilanzen und Gehälter der Konzernvorstände nicht gerade Begeisterung aufgenommen. Da herrscht ohne jeden Zweifel Bedarf und auch mehr als genug Potenzial, die Leute auch zu beschäftigen. Hier scheitert es eher am Willen, die notwendigen und gerechtfertigten Gehälter auch zu bezahlen. Aber bei der Bundeswehr?

Kasernen, Personal (Stichwort: Ausbilder) und Material wurden im ganz großen Stil verkauft und abgeschafft. Wenn "plötzlich" jedes Jahr rund eine Millionen Menschen in den Genuss der Dienstpflicht kommen und nur 10% davon sagen "ich geh zum Bund", dann muss die Bundeswehr 100.000 Menschen zusätzlich ausrüsten, unterbringen, ausbilden und beschäftigen. Prima Plan. Wie? Womit? Wo? Wir haben jetzt schon gewaltige Probleme mit den paar Freiwilligen, die sich jetzt beim Bund melden. Die Debatten um die Aufstockung des Wehretats haben die Grenzen der Comedy lange hinter sich gelassen. 100.000 Leute mehr - und das ist eine niedrig angesetzte Schätzung - werden zu ganz anderen finanziellen Herausforderungen führen. Wie das politisch realisiert werden soll, ist mir angesichts des völlig zerstrittenen Parlaments in allen die Bundeswehr betreffenden Belangen völlig schleierhaft.

Selbst wenn die Bundeswehr nur eine Option in einem größeren Katalog von "verpflichtenden Angeboten" wäre und deshalb die Verweigerung des Dienstes an der Waffe ein untergeordnetes Problem wäre: Was, wenn sich keine Sau für die Bundeswehr meldet? Was, wenn die Bewerberquote noch stärker einbricht? Denn: Wenn ich eh nur einen marginalen Hungerlohn bekomme, dann wähle ich doch das allerkleinste Übel und das ist erfahrungsgemäß nicht die Bundeswehr. Das Problem ist nämlich, dass es noch genügend Eltern und Großeltern gibt, die beim Bund waren und dem Nachwuchs bildhaft schildern können, was da auf sie zukommt - egal, ob das Geschilderte realistisch ist oder nicht, motivierend wirken diese Geschichten in der Regel nicht.

Ganz abgesehen von den Problemen, die es schon mal gab und dann wieder geben wird: Das Handwerk hat existenzielle Nachwuchsprobleme. Denen erstmal die Azubis wegnehmen, wie es schon damals gerne gemacht wurde? Ich bin mir sicher, dass das zu ausufernder Maximalbegeisterung in den Branchen führen wird. Ausnahmereglungen einführen? BGH und BVG sind eh unterfordert. Die warten nur auf die sofort wieder in Gang gebrachten Normenkontrollklagen zu Wehrgerechtigkeit und Zwangsarbeit etc. Verwaltungs- und Arbeitsgerichte warten nur auf Klagen wegen Härtefällen, ungerechtfertigten Eingriffen in Arbeitsverhältnisse und so weiter und so fort. Fachärzte werden sich mit Sicherheit über den Schub an Untersuchungen und Attesten freuen, mit denen die Tauglichkeit zu diversen "Diensten" von Unwilligen, aber Zahlungsbereiten, ausgeschlossen werden wird.

Wirtschaftlich wäre dieser "verpflichtende Dienst" insgesamt ein gewaltiges Subventionsprogramm. Aber wer bezahlt das? Und wovon? Kann ernsthaft irgendein mit Steuermitteln ausgestatteter Sektor von sich behaupten, er wäre "überfinanziert"? Wohl kaum. Aber von allen Bereichen müssten Gelder abgezogen werden, um Infrastruktur und notwendige Verwaltung zu schaffen oder wiederaufzubauen. Was also kürzen? Renten? Gesundheitssystem? Umweltschutz? Bildung? Entwicklungshilfe? Forschung? Na? Wer hat zu viel Geld? Irgendwelche Freiwilligen?

Ich verstehe die Intention vollkommen. Die Wehrpflicht und der damit zusammenhängende "Zivildienst" lösen auf den ersten Blick eine Menge Probleme. Aber die, die dessen Wiedereinführung jetzt fordern, sind die, die genau wissen, dass sie davon niemals betroffen sein werden. Selbst wenn die Einführung mit Hochdruck vorangetrieben würde: Die bereits jetzt erkennbaren parlamentarischen Widerstände lassen erkennen, dass es mit ziemlicher Sicherheit kein einstimmiges Dafür bei den Fraktionen geben wird. Die unumgänglichen Gesetzesänderungen dürften sich diverse Jahre hinziehen. Die CDU plant das Thema deshalb auch eher als mögliche Komponente des neuen Grundsatzprogramms 2021 ein - das wäre in drei Jahren. "Zügig" oder gar "morgen" wird das also so oder so nicht kommen. Über den Daumen gepeilt würde ich mal sagen 2025 so die grobe Gegend.

Aber bis dahin haben wir trotzdem ein Problem beim Bund und in der Pflege. Die Bundeswehr zerfällt. Oder besser: Deren Material. Entsprechend entwickeln sich die Bewerberzahlen. Das Pflegesystem steht mit anderthalb Beinen im Personalkollaps. Beide Großbaustellen haben keine fünf, sieben oder zehn Jahre Zeit. Mit Notlösungen überbrücken? Das hat man bis jetzt schon versucht. Es zeigt sich aber, dass das gar nicht funktioniert und hat die Situation soweit verschärft, dass wir jetzt in der Situation sind, dass selbst ganz weit oben in der Politik klar ausgesprochen wird, dass uns der Laden um die Ohren zu fliegen droht.

Ob es dem Vertrauen der Bürger in Staat und Politik hilft, wenn dort mit der gerade in jüngerer Vergangenheit gezeigten Professionalität und Sachlichkeit über solche fundamentalen und jeden betreffenden Fragen unseres Staates gestritten wird, ist noch mal ein ganz anderes Thema. Ich mag mir aber nicht ausmalen, was passiert, wenn dieses Thema ernsthaft auf die Tagesordnung gesetzt und dann ähnlich professionell vor die Wand geschleudert wird, wie zum Beispiel die Rechtschreibreform. Oder die Abgasnormen. Oder die Atomkraft. Oder die Raumfahrt. Oder Bologna. Oder das Gesundheitswesen. Oder Riester. Oder Hartz. Oder Glyphosat. Oder, oder, oder.

Dienstag, 24. Juli 2018

Wenn Fußballer meinen, Politiker zu sein...

Meine Zuneigung zum Fußball ist hinlänglich bekannt. Dennoch hat sich die Causa Özil in den letzten Tagen, insbesondere heute, vehement in meinen Tagesablauf gedrängt und ich wurde verschiedentlich um Kommentar gebeten.

Mesut Özil ist ein im Oktober 1988 in Gelsenkirchen geborener Fußballspieler. Ende 2007 legte er seine türkische Staatsbürgerschaft ab, um eingebürgert zu werden. Zu der Zeit spielte er für den FC Schalke 04 und wurde in die U19 Nationalmannschaft Deutschlands aufgenommen. Ob Ablegen der türkischen und Annehmen der deutschen Staatsangehörigkeit mit der Aufnahme in die U19 im Zusammenhang steht, konnte ich nicht zweifelsfrei klären. Allerdings misst er selbst der Staatsangehörigkeit nach eigenen Worten keine große Rolle bei. 2012 sagte er zur Frage nach seiner nationalen Identität:

"Ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht – bin ich dann ein deutsch-türkischer Spanier oder ein spanischer Deutsch-Türke? Warum denken wir immer so in Grenzen? Ich will als Fußballer gemessen werden – und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun."
(Mesut Özil, am 22.06.2012 in der FAZ)

Özils Entscheidung, für deutsche Auswahlmannschaften zu spielen, traf teils auf Unverständnis, teils auf offene Kritik seitens türkischer Fans. Hamit Altintop sagte der Süddeutschen Zeitung:

Altintop: "Ich weiß, wie es in Mesut ausgesehen hat, ich habe einen guten Draht zu ihm und vor seiner Entscheidung habe ich auch oft mit ihm gesprochen. (...) Fußball ist manchmal eine Herzensangelegenheit, aber viel öfter einfach ein Business."
SZ: "Mit anderen Worten: Özil hat sich vor allem für die Karriere entschieden."
Altintop: "Als deutscher Nationalspieler hat Mesut mehr Lobby, einen höheren Marktwert, er verdient mehr Geld. Hätte er sich für die Türkei entschieden, hätte er keine WM gespielt und wäre jetzt nicht bei Real Madrid. So einfach ist das. (...) Entschuldigung, aber ich finde, das hat auch nichts mit Integration zu tun."
(Hamit Altintop, am 6.10.2010 in SZ)

Altintop bestritt später mehrfach, dies jemals gesagt zu haben.

In den Fokus der Öffentlichkeit außerhalb des Fußballs geriet Özil, als er sich während der angespannten politischen Lage zwischen Deutschland und der Türkei mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan traf (in Begleitung von İlkay Gündogan und Cenk Tosun) ihm ein signiertes Trikot übergab und sich mit ihm fotografieren ließ.

Özil hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach mit Erdogan getroffen. Bekannt sind Treffen aus 2011, 2012 und 2016. Auch bei diesen Treffen wurden Trikots übergeben und Fotos gemacht. Diese Treffen jedoch fanden in einem anderen außenpolitischen Umfeld statt und wurden wohl auch deshalb in Deutschland weitestgehend ignoriert. Das letzte Treffen jedoch wurde als direkte Wahlkampfhilfe für Erdogan verstanden, der just zu der Zeit mitten in seinem umstrittenen Präsidentschaftswahlkampf steckte (den er schließlich auch gewann). Auch wenn DFB-Manager Oliver Bierhoff eine "Einladung von türkischen Unternehmern" als Grund des Treffens erwähnte.

Präsident Erdogan hatte sich in Deutschland in der Zeit unmittelbar zuvor besonders dadurch viele Freunde gemacht, dass er unter anderem das Deutschland von heute mit dem Dritten Reich auf eine Stufe stellte, gegen Jan Böhmermann und dessen Satire klagte und schließlich sogar Reporter der Welt ohne Anklage monatelang inhaftieren ließ und ohne Scheu als Druckmittel zum Durchsetzen von Lieferungen militärischer Rüstungsgüter einsetzte.

Nun wäre das alles kein großer Akt gewesen. Özil, mindestens 50 Millionen Euro schwer, Nationalspieler, hat garantiert ein potentes PR-Team zur Hand und wenn nicht, hätte man es ihm mit Kusshand quasi hinterhergetragen. Aber nein, Herr Özil hielt es für besser, dem sich deutlich abzeichnenden Unverständnis in Deutschland mit Stillschweigen zu begegnen, dass dann auch noch mit einem Kaffeeklatsch beim Bundespräsi inklusive Fototermin belohnt wurde. An der Stelle verließ mich damals schon jedes Mitgefühl und ich hatte den Verdacht, dass es hier nur ums Geld geht und nicht um irgendwelche echten Probleme.

Auch nach diesem Treffen blieb Herr Özil verbissen still und wollte das Problem "ausmerkeln". Klappte aber nicht. Es drohte die Fußballweltmeisterschaft in Russland - was auch nicht gerade auf universelle Gegenliebe stieß - und Özil, inzwischen in England beheimatet und noch immer für Arsenal spielend - sollte für die Deutsche Nationalmannschaft aufgestellt werden. Das fand die Vereinigte Fußballrepublik Deutschland super uncool und trat so richtig auf's Randalegas: Özil wurde in Stadien ausgepfiffen und offen angefeindet. Interessierte ihn aber auch nicht. Er hielt weiterhin die Klappe und die Hand auf (glaubt irgendjemand, dass zB die Fotos für die WM ohne Gage gemacht wurden?)

Jetzt aber wars ihm wohl zu blöd. Via Twitter - ganz Vorbild Trump entsprechend - trat Özil einmal allen in die Fresse: Dem Verband, der Nationalmannschaft und Deutschland insgesamt. Er kotzte sich so richtig aus und verkündete am Ende: "Für Deutschland spiele ich nicht mehr auf internationaler Ebene".


(via Twitter)

(via Twitter)

(via Twitter)

Ob er damit seinem Rauswurf aus der Nationalmannschaft zuvorkam, darüber darf spekuliert werden. Aber mit diversen Granden aus dem Pantheon des Fußballs hat er es sich wohl gründlich verdorben. Insbesondere Uli Hoeneß grätschte mit gestrecktem Bein in Özils Schritt und nannte ihn - zusammengefasst - jenseits seines Zenits als Sportler. Er nannte ihn auch "Alibi-Kicker", "Mitläufer" und sagte schließlich: "Er hat seit Jahren einen Dreck gespielt". (Siehe zB hier.)

Die Causa schlug solche Wellen, dass sogar Bundespolitiker sich befleißigt sahen, Stellung zu nehmen und zu instrumentieren. Zum Beispiel hier. Auch in der Presse ging das Thema steil. Einfach nach "Özil Rücktritt Nationalmannschaft" suchen.

Drei Statements markieren wohl die Extreme, zwischen denen die Debatte sich entfaltet.

"Ich glaube auch nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland"
(Heiko Mass, Außenminister, SPD)
"Dass #Özil geht, ist ein Armutszeugnis für unser Land. Werden wir jemals dazugehören? Meine Zweifel werden täglich größer. Darf ich das als Staatssekretärin sagen? Ist jedenfalls das, was ich fühle. Und das tut weh."
(Sawsan Chebli, SPD)
"Jetzt versucht er, aufgrund der massiven Kritik wegen seines Treffens [...] und der Huldigung für Erdogan, sich als Opfer des DFB darzustellen – oder der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland. Das ist doch wirklich grober Unfug."
(Wolfgang Bosbach, CDU)

Ich gehe davon aus, dass diese Posse noch interessante Folgen haben wird. Eigentlich warte ich noch auf irgendeinen Politiker einen Untersuchungsausschuss fordert. Tatsächlich stelle ich mir bei dieser... ist das noch Realsatire oder ist das schon eine Groteske? Ich weiß es nicht. Egal wie. Ich stelle mir aber vor allem folgende Fragen:

Es ist seit Jahren bekannt, wie Özil über das Thema "Nationalität" und "Staatsangehörigkeit" denkt. Es ist auch bekannt, dass er zu Erdogan ein wie auch immer geartetes Verhältnis hat. Ob das nun rein privater, finanzieller, kultureller, idealistischer oder familiärer Natur ist, ist völlig egal. Es ist auch bekannt, dass er sich aus der deutschen Staatsbürgerschaft nicht besonders viel macht und ich möchte wetten, dass er die demnächst auch wieder abgibt, vielleicht zugunsten der Englischen. Alles das ist kein Geheimnis. Warum macht man da jetzt so einen Film drum von wegen "armer geschundener Sportler mit Migrationshintergrund"?

Wer glaubt eigentlich ernsthaft, dass es ausgerechnet beim Fußball, insbesondere bei Bundesligen und Nationalmannschaften in / aus Deutschland, um irgendetwas Anderes als ums Geld ginge? Darf ich exemplarisch an die WM 2006 erinnern? Wie kommt man auf das schmale Brett zu skandieren, Fußball würde "verbinden" und von "Gemeinschaft" und "höheren Idealen" und ähnlichem Blödsinn zu fabulieren?

Wann genau hat man in diesem gigantischen Rahmen um irgendeinen befähigten, talentierten Spezialisten irgendeiner Fachrichtung so ein Feuerwerk abgefackelt, als der gesagt hat "Deutschland ist Scheiße, ich gehe" und dann ausgewandert ist? Ist ja nicht so, dass alle Wissenschaftler in Deutschland bleiben. Um nur ein Beispiel zu nennen. Da waren auch genug mit Migrationshintergrund mit bei, die jetzt im Silicon Valley oder sonst wo die Kohle mit der Schubkarre nach Hause fahren.

Ich weiß, ich weiß. Ich habe eh keine Ahnung. Vom Fußball sowieso nicht. Aber meiner Meinung nach wird hier wieder eine Sau durchs Dorf getrieben, die man eigentlich getrost im Gebüsch und im Vergessen hätte verschwinden lassen können. Denn zwei Dinge werden ganz bestimmt nicht passieren: Weder wird Deutschland wegen Özil plötzlich begreifen, worum es bei "Integration" wirklich geht, noch wird sich irgendetwas am Machtgefüge des DFB ändern, abgesehen vom obligatorischen Austausch von zwei oder drei Gesichtern.