Montag, 26. März 2018

...und Du bist 'raus!

Die Causa Skripal zieht weitere Kreise. Westliche Staaten wiesen heute 119 (einhundertneunzehn) russische Diplomaten aus, Deutschland alleine 4. Spitzenreiter sind die USA, die 60 (sechzig) Diplomaten des Landes (12 davon arbeiten bei der UN) verwiesen. Außerdem wurde angeordnet, das russische Konsulat in Seatle zu schließen. Aus dem Auswärtigen Amt (aka: Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten) hieß es dazu:

Es ist klar, dass dieser Anschlag nicht ohne Folgen bleiben kann. Wir haben deshalb deutlich Stellung bezogen und uns in der Europäischen Union hinter Großbritannien gestellt.

Wir haben die Entscheidung zur Ausweisung der russischen Diplomaten nicht leichtfertig getroffen. Aber die Fakten und Indizien weisen nach Russland. Die russische Regierung hat bisher keine der offenen Fragen beantwortet und keine Bereitschaft gezeigt, eine konstruktive Rolle bei der Aufklärung des Anschlags spielen zu wollen.
(Heiko Maas, Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten)

Bislang steht eine Reaktion von höchster Stelle in Russland noch aus. Das russische Außenministerium teilte jedoch mit:

"Es versteht sich von selbst, dass der unfreundliche Schritt der Ländergruppe nicht folgenlos bleiben wird."

Als Reaktion auf die heftige Ausweisungswelle der USA sagte der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, dass die Beziehungen zu Washington "zerrüttet" sein. Die Ausweisung würde das Wenige zerstören, das von den russisch-amerikanischen Beziehungen noch übrig ist.

Es sei nur am Rande angemerkt, dass es sich bei den "Diplomaten" um Geheimdienstmitarbeiter handelt. 10 Downing Street reagierte mit kaum kaschierter Begeisterung und nannte die Aktion "die größte kollektive Ausweisung russischer Geheimdienstoffiziere der Geschichte".

Donald Tusk (der aus Brüssel, nicht der aus Washington) betonte im Zusammenhang mit den Ausweisungen, dass "weitere Maßnahmen, inklusive weiterer Ausweisungen (...) in den kommenden Wochen nicht ausgeschlossen" sind. Er sagte, dass der Europäische Rat die Europäische Kommission mit England darin übereinstimmt, dass es "sehr wahrscheinlich" (wörtlich: "highly likely") sei, dass die Russische Föderation für den Anschlag verantwortlich sei. Die EU stehe dem Vorgehen der russischen Regierung weiterhin kritisch gegenüber.

Die Ausweisung der 60 Agenten aus den USA folgt nur 15 Monate nach der unter Präsident Obama angeordneten Ausweisung von 35 russischen Diplomaten wegen Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen 2016. Dennoch würden zur Zeit über 100 russische Geheimagenten in den USA tätig sein, so ein offizieller Vertreter der US Administration.

In Deutschland wurde die Ausweisung der vier Diplomaten von Stefan Liebich (Die Linke) kritisiert. Deeskalation sei notwendig, nicht Eskalation. Die Ausweisung sei ohne die Vorlage von Beweisen für eine Mittäterschaft staatlicher russischer Organe erfolgt, so Liebich. Fraktionsvorsitzende Sarah Wagenknecht sprach von "schlichtem Unverstand". Rolf Mützenich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender für den Bereich Außen-, Verteidigungs- und Menschenrechtspolitik der SPD, sagte gegenüber der Welt:

"Die Ausweisung von vier russischen Diplomaten mit nachrichtendienstlichem Hintergrund ist übereilt und wird den politischen Kriterien, die an den Giftanschlag Skripal angelegt werden sollten, nicht gerecht."

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, hingegen sagte:

"Als Zeichen der Solidarität mit Großbritannien ist diese Maßnahme richtig. Es darf aber in keinem Fall dazu führen, dass die Gesprächskanäle nach Moskau abbrechen."

Ihm widersprach sein Parteikollege Jürgen Trittin:

"Die Ausweisung ist ein Akt symbolischer Solidarität mit Theresa May. Er erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo der Hintergrund des Anschlags, Herkunft und Weg des Giftes nicht abschließend geklärt sind. Von Belegen für die Beauftragung ganz zu schweigen."

Er warf Maas vor, seine Entscheidung auf Grundlage von Indizien und Plausibilitäten getroffen zu haben. Trittin bezeichnete dies als "leichtfertig" und "Anfängerfehler" und warnte davor, dass Deutschland in einen neuen kalten Krieg stolpere.

Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sagte, dass die Regierungen der EU-Staaten und die EU-Kommission die Beweislage für eine russische Verantwortung beim Nervengiftanschlag auf Skripal für "erdrückend" halten.

Abgesehen davon, dass nicht alle Bundespolitiker wissen, welche Informationen auf höchster Ebene ausgetauscht werden, ist es dumm, alleine Heiko Maas für die Ausweisung verantwortlich zu machen. Er hat diese Idee sicherlich nicht im eigenen Saft ausgekocht und dann "mal eben" verkündet. Mindestens meine Bundeskanzlerin wird in den Prozess involviert gewesen sein. Es ist in meinen Augen auch etwas kurzsichtig zu glauben, dass eine konzertierte Aktion dieser Größenordnung leichtfertig von 18 (achtzehn) Staaten links und rechts vom Atlantik angestoßen wird. Okay, bei Donald Trump bin ich mir da nicht 100% sicher.

Dennoch sollte man sich im Klaren sein, dass es Russland war, die die Doktrin der "Eskalation zur Deeskalation" eingeführt haben. Ursprünglich zwar in Bezug auf die nukleare Kriegsführung, aber es wäre doch etwas kurz gedacht davon auszugehen, dass eine sich insbesondere auf ihre Geheimdienste stützende Regierung nicht auf die Idee käme, diese Doktrin auch auf andere Bereiche zu übertragen.

Da inzwischen auch die OPCW eingeschaltet ist und seit spätestens dem 19.03. eigene Untersuchungen betreibt, dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erste Ergebnisse vorliegen. Über diese dürften die Staats- und Regierungschefs auch "vorab" in Kenntnis gesetzt worden sein. Oder glaubt ernsthaft irgendjemand, dass bei einer diplomatischen Krise dieser Dimension irgendjemand sagt "och, lass mal, das hat Zeit"? Zwar gab die OPCW an, mindestens zwei Wochen für erste Ergebnisse zu brauchen, aber ich denke schon, dass bei der Organisation ein paar höher gestellte Persönlichkeiten vorstellig geworden sind und eine Bitte um bevorzugte Behandlung mit gewissem Nachdruck vorgetragen haben.

Es sollte auch nicht unterschätzt werden, dass es hier um einen Vorfall handelt, der aus einem Agentenkrimi stammen könnte. Hier rundherum "handfeste Beweise" zu verlangen, ist zwar ehrbar und grundsätzlich auch richtig, aber was erwarten die Damen und Herren, die dies fordern? Das persönlich vorgetragene Geständnis der oder des Attentäters? Eine schriftliche Erklärung aus dem Kreml "Sorry, wir waren das, war blöd, kommt nicht wieder vor"? Auch der Indizienbeweis ist ein Beweis und manchmal muss der (leider) ausreichen. Insbesondere hier, um klar Kante zu zeigen und die Linie in den Sand zu ziehen: "Bis hier hin, und nicht weiter".

Mal ganz abgesehen davon, dass dieser Fall auf angenehme Weise zeigt, dass der ansonsten ziemlich gerne heftig zerstrittene Westen doch manchmal noch in der Lage zu sein scheint, irgendwie zusammenzuarbeiten.

Zumindest ansatzweise.

(Quelle: Zeit, Welt, FR, SZ, SPON, Britische Regierung, Tagesschau, CNN)

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